Ansätze von Zivilgesellschaft gab es in Serbien bereits im sozialistischen Jugoslawien, sie sind im Umfeld von Dissidentenkreisen und kritische Intellektuellen entstanden und bildeten den Nukleus der späteren Frauen- und Friedensbewegung. Die Zivilgesellschaft entstand in Serbien Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre als Reaktion und in Gegnerschaft auf das autoritäre Milosevic Regime, auf Nationalismus und Kriegspolitik. Internationale Isolation, wirtschaftlicher Niedergang und eine Verhältnis des Regimes, welches zwischen Ignorieren und Repressionen wechselte bildeten den Entwicklungsrahmen der Zivilgesellschaft.
Versammelte um das Zentrum für Antikriegsaktionen (Belgrad) brachte die Zivilgesellschaft in der ersten Hälfte teils bis zu hunderttausend Menschen zum Protest gegen die Kriegspolitik des Milošević-Regimes auf die Straßen. Ideell und finanziell unterstützt von internationalen Organisationen kam es nach dem Ende des Bosnienkriegs in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts zu einem Prozess der Ausdifferenzierung und Professionalisierung der Zivilgesellschaft. Die Internationalisierung und regionale Verknüpfung der Arbeit entwickelte sich. Jenseits von eher sozial wirkenden NGOs traf diese Entwicklung bei den eher politisch agierenden Organisationen insbesondere zu auf Menschenrechtsorganisationen, Frauenorganisationen sowie auf die Arbeit im Bereich von Wahl-Monitoring. Eine Schlüsselrolle hat die Zivilgesellschaft beim Sturz der Milošević-Regimes gespielt, insbesondere die 1999 entstandene Jugendprotestbewegung Dosta (Genug).
Im vergangenen Jahrzehnt war die Entwicklung der Zivilgesellschaft vom Wegfall der Gegnerschaft zum Regime und von der Abnahme engagierter Geber-Organisationen geprägt. Etablierte Organisationen sind ein wichtiger Gradmesser und gesellschaftliches Sprachrohr im demokratischen Umbruch geblieben. Eine zentrale Rolle haben sie eingenommen in der politischen Einforderung und der zivilgesellschaftlichen Arbeit zur Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit, der Rolle Serbiens in den Balkankriegen und den massenhaften Kriegsverbrechen. Weiterhin spielen sie eine Vorreiterrolle bei der gesellschaftlichen Verbreitung europäischer Werte und der Befürwortung der EU-Integration. Parallel zu diesen traditionellen Organisationen sind in den letzten Jahren zahlreiche neue NGOs entstanden, die sich aus Steuermitteln finanzieren und den Regierungsparteien nahe stehen.
Die Hauptprobleme der Arbeit der Zivilgesellschaft in Serbien heute bestehen erstens im steuerlichen Status von NGOs, es gibt bis heute keine steuerrechtliche Unterscheidung zwischen profit- und non-profit-Organisationen; zweitens im bestehenden Stadt-Land-Gefälle – die meisten NGOs sind in den Städten; drittens schwächt das Konkurrenzverhalten untereinander die Position der Zivilgesellschaft als Ganzes gegenüber Staat und Politik; viertens prägt die noch immer stark nationalistische Wahrnehmung innerhalb der Bevölkerung deren teils negatives Verhältnis zu NGOs, und schließlich fünftens stellt die passive Grundhaltung breiter Bevölkerungsgruppen hinsichtlich eines politischen oder sozialen Engagements weiterhin ein Strukturproblem für die Entfaltung gesellschaftlicher Breitenwirkung von zivilgesellschaftlichen Aktivitäten dar.
Wichtige NGOs in Serbien
- Helsinki Komitee für Menschenrechte in Serbien
- Humanitarian Law Fund
- Jugendinitiative für Menschenrechte
- Center for Euro-Atlantic Studies
- Belgrade Centre for Human Rights
- Committee of Human Rights Lawyers – YUCOM
- Frauen in Schwarz
- Zentrum für Frauenstudien
- Zentrum für kulturelle Dekontamination
- Portal Peščanik
- Grupa 484
- Crta
In der Zivilgesellschaft hat der Machtverlust der Demokratischen Partei (DS) und ihres Vorsitzenden Tadić 2012 und der Aufstieg der SNS zu Verwerfungen und Desorientierung geführt. Im Wahlkampf hatte sich ein Teil der Zivilgesellschaft aktiv gegen Tadić engagiert und anschließend die pro europäische und Kosovopolitik der größten Regierungspartei SNS und ihres Vorsitzenden Vučić unterstützt. Aus der Zivilgesellschaft kommt aber zugleich auch die meiste Kritik am populistischen und autoritären Politikstil des neuen starken Mann Serbiens. Unter Vučić erlebt die Zivilgesellschaft immer wieder Angriffe durch höchste Regierungsvertreter und regierungsnahe Medien.
Zuletzt im Juli 2020 protestierten mehr als zweihundert zivilgesellschaftliche und Medienorganisationen, dagegen, dass eine Abteilung des Finanzministeriums für Geldwäsche, deren Einrichtung ursprünglich auf Terrorfinanzierung abzielte, bei kommerziellen Banken in Serbien offizielle Erkundigungen über mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen eingeholt hatte. Die unterzeichneten Organisationen verurteilten diesen Schritt des Finanzministeriums als politischen Missbrauch und Schikane.
Ähnlich wie in den Nachbarstaaten beteiligt sich die Zivilgesellschafts Serbiens aktiv am EU Integrationsprozess des Landes. 2014 wurde der Nationale EU-Konvent zur Begleitung der Beitrittsverhandlungen Serbiens gegründet. In ihm sind zivilgesellschaftliche Organisationen und andere gesellschaftliche Interessengruppen in Arbeitsgruppen zu den einzelnen Beitrittskapiteln organisiert. Der Konvent dient zur kritischen Begleitung der Beitrittsverhandlungen und dem Austausch mit Vertretern von Regierung und Parlament. Er wird von der EU und verschiedenen bilateralen Gebern finanziell unterstützt.
Medien
Das sozialistische Jugoslawien hatte eine relativ liberale Medienlandschaft mit einem großen Stamm an professionellen Journalisten hervorgebracht. Unter dem Milošević-Regime kam es in Serbien Ende der 1980er, Anfang der 90er Jahre zu einer dichotomen Ausdifferenzierung in staatliche und eine kleine Zahl unabhängig-oppositioneller Medien. Die staatlichen, öffentlichen Medien wurden zum Instrument von Kriegspropaganda, nationalistischer Hetze und von hate speech, eine Säuberung von hunderten von Journalisten fand statt. Zu den wichtigsten staatlichen Medien kriegerischer Propaganda wurde das Staatsfernsehen RTS, daneben die Tageszeitungen Politika und Večernje novosti.
Diesen gegenüber standen einige kritisch-unabhängige Medien, die objektiv über die Rolle Serbiens in den Jugoslawienkriegen und über das autoritäre Regime berichteten, und der Zivilgesellschaft und der parteipolitischen Opposition eine öffentliche Stimme gaben. Zu ihnen zählten vor allem Printmedien wie die Wochenzeitung Vreme und die Tageszeitung Borba – später Naša Borba, außerdem der Belgrader Radiosender B92 und der Hauptstadtfernsehsender Studio B. Viele von ihnen waren administrativen Repressionen des Regimes ausgesetzt. Diese Medien erfuhren moralische und finanzielle Unterstützung aus dem westlichen Ausland.
Nach dem Sturz Milošević’s hat sich die Frontstellung in den Medien aufgelöst, die regimetreuen Direktoren und Chefredakteure in den öffentlichen Medien wurden ausgetauscht, vielfach wurden sie durch Journalisten ersetzt, die ein Jahrzehnt zuvor aus diesen Medien gedrängt worden waren. Ein demokratischer gesetzlicher Rahmen wurde geschaffen. Viele öffentliche Medien, vor allem die Printmedien wurden privatisiert. Infolge des Privatisierungsprozesses ist es zur Kommerzialisierung der Medienlandschaft gekommen.
All diese Maßnahmen haben jedoch nicht zu einer grundlegenden Verbesserung der Mediensituation geführt. In der Medienlandschaft Serbiens sind viele strukturelle Probleme geblieben sowie neue hinzugekommen, welche die Ausbildung eines freien, kritischen Journalismus behindern.
Die wichtigsten Strukturprobleme sind:
- teils intransparente Eigentümerstrukturen durch die Privatisierung
- Mediengesetze werden nicht umgesetzt
- Kontrollorgane über die Medien arbeiten ineffektiv
- Große Abhängigkeit von Werbeeinnahmen
- indirekte politische Einflussnahme über die faktische Monopolstellung einiger weniger, regierungsnaher Werbeagenturen
- Schlechte ökonomische Lage der Journalisten, Missachtung von Arbeitsrechten
- Politischer Druck auf Journalisten, Bedrohungen, insbesondere in der Provinz
Infolge dieser Probleme sind starke Tendenzen hin zu einer Skandalisierung der Berichterstattung zu verzeichnen. Zugleich ist es zu einer Abnahme von investigativem Journalismus gekommen und zu vermehrter Autozensur. Die ehemals unabhängigen Medien aus den 1990er Jahren sind heute unter kommerziellen Bedingungen in einer schlechteren Lage als unter dem Milošević-Regime. Ein Teil der in diesen Medien arbeitenden Journalisten ist in den letzten Jahren auf das Internet ausgewichen, wo sie alternative Nachrichtenportale wie E-Novine oder Pešćanik gegründet haben. Mit dem Wochenmagazin Novi Magazin ist jüngst erstmals seit langem wieder ein in der Tradition des kritischen Medien der 1990er Jahre stehendes Presseprodukt auf dem serbischen Medienmarkt erschienen.
Die Organisation Freedom House hat Serbiens Medien 2017 als „frei“ bewertet und in ihrem jährlichen globalen Ranking auf Platz 73 aller Länder eingeordnet, zugleich aber eine negative Entwicklung hinsichtlich Medienfreiheit betont. 2018 hat Freedom House Serbien heruntergestuft von „frei“ auf „teilweise frei“ und dies mit dem fortgesetzten politischen Druck auf unabhängige Medien, Opposition und Zivilgesellschaft bzw. der fortgesetzten Erosion von politischen und Bürgerrechten.
Das Land fiel zurück auf Platz 67. Reporters Without Border haben 2019 in ihrem jährlichen Meidenfreiheitsindex Serbien um ganze 14 Plätze zurückgestuft auf Platz 90. Im World Press Freedom Index 2020 setzte sich dieser Negativtrend fort, Serbien rutschte um weitere 3 Plätze auf Rang 93 ab.
Die OSCE hat Ende Mai 2014 in einer Presseerklärung kritisiert, dass es während des Jahrhunderthochwassers im Rahmen des ausgerufenen Ausnahmezustands zur Löschung von Blogs und Sperrung von Webseiten gekommen ist, die kritisch über die Krisenpolitik der Regierung berichtet hatten; zugleich seien einige Personen wegen angeblicher Verbreitung von Panik in sozialen Medien festgenommen worden. Diese Vorfälle wurden von der Europäischen Kommission in ihrem Fortschrittsbericht für 2014 zum Anlass genommen um die Mangel an Pressefreiheit zu kritisieren, was der Kommission den öffentlichen Widerspruch von Premierminister Vučić einbrachte.
Mitte Januar 2015 erreichte der Konflikt zwischen Vučić und der EU einen neuen Höhepunkt. In der Reaktion auf einen Korruptionsbericht des Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) einem regionalen Netzwerk investigativer Journalisten, bezichtigte der serbische Premier BIRN der Lüge und beschuldigte außerdem die EU, sie würde dieses Medium dafür bezahlen, die serbische Regierung zu attackieren.
Nach den vorgezogenen Neuwahlen vom April 2016 und den Kommunalwahlen, bei denen die SNS weitgehende Kontrolle auch über die kommunalen Regierungen erlangte, hat die Regierungskoalition ihre Kontrolle über die öffentlich-rechtlichen Medien weiter ausgebaut. Die Regierung nutzte dabei drei neue, von der EU verlangte Mediengesetzte, die die Einführung von marktökonomischen Regeln im Mediensektor vorschrieben. Da in Serbien aber bisher keine wirklichen marktwirtschaftlichen Strukturen entstanden sind, nutzte die Regierungspartei die Reformen, um den größten Teil verbliebener lokaler Medien in der Provinz unter ihre Kontrolle zu bringen.
Unmittelbar nach dem Wahlsieg in der Provinz Vojvodina ging die SNS gegen die Unabhängigkeit des Radio- und Fernsehsenders RTV Vojvodina vor. Der neue Aufsichtsrat setzte den Programmdirektor ab, woraufhin der Direktor und die Chefredakteurin zurücktraten. Eine neue Übergangsleitung des Senders setzte zahlreiche Redakteure und Journalisten ab und stellte einzelne politische Sendungen ein. Gegen die Politik der neuen Provinzregierung gab es Demonstrationen von Bürgern in der Hauptstadt der Vojvodina, Novi Sad.
Anfang 2020 folgte der nächste Angriff auf verbliebene unabhängige Medien in Serbien. Der unabhängige regionale Fernsehsender N1, der zu CNN gehört, wurde zum 1. Januar vom Kabelnetz abgetrennt, nachdem ein Vertrag zwischen N1 und dem zum serbischen staatlichem Unternehmen Telekom Serbien gehörigen Kabelnetzunternehmen ausgelaufen war. Der Konflikt hat zu internationaler Kritik bzgl. der weiteren Einschränkung der Pressefreiheit in Serbien geführt.
Internetnachrichtenportale und soziale Medien sind mittlerweile wichtige, ergänzende Informationsquellen in Serbien. Eine große Mehrheit serbischer Bürger nutzt das Internet, 2015 waren es geschätzte 4,7 Millionen. Allerdings ist die Informationsfreiheit im Internet durch verschiedene Formen der Intervention von Regierungsstellen eingeschränkt. Laut verschiedener Analysen wendet die serbische Regierung verschiedene verdeckte Methoden an, um den Informationsfluss im Internet zu beeinflussen. Zugleich gibt es gelegentliche Einschüchterungsversuche durch die Polizei gegen Journalisten und andere Nutzer sozialer Medien. So wurden während der Überschwemmungen 2014 mehrere Bürger, die in ihren Posts in sozialen Medien das Versagen der Behörden dokumentiert hatten, wegen vermeintlicher Verbreitung von Panik von der Polizei verhört.
Die Texte stammen vom Länderportal der GIZ, welches vom Netz genommen ist. Die Autorin heisst Dr. Azra Dzajic-Weber, studierte und promovierte in Germanistik und Slawistik an der Georg-August-Universität Göttingen. Die GIZ und der Autorin ist informiert worden, dass die Infos auf meiner touristischen Länderseite zu Serbien veröffentliche.