Verhältnis zum Kosovo

Am 9. Dezember 2011 hat der Rat der EU die positive Entscheidung bzgl. des Kandidatenstatus für Serbien aufgrund der Unruhen im serbisch besiedelten Norden des Kosovo auf das Frühjahr 2012 verschoben. Damit ist das Kosovo nach Jahren wieder in Zentrum von Serbiens Innen- wie Außenpolitik gerückt. Das Kosovo war Ausgangs- und Endpunkt des Milošević-Regimes wie des Zerfalls Jugoslawiens. Als serbische autonome Provinz, die teils mehr Zuständigkeiten hatte als die Republik selber, stellte die Forderung der albanischen Mehrheitsbevölkerung von 1981 den Beginn einer Systemkrise des sozialistischen Jugoslawien dar. Seine Instrumentalisierung, des Verhältnisses von Serben und Albanern in der Provinz diente Slobodan Milošević zum machtpolitischen Aufstieg. Er benutze das „virtuelle Kosovo“, das Symbole des serbischen Nationalismus als Instrument nationalistischer Mobilisierung und der Ethnisierung sozialer und politischer Konflikt. Das „reale Kosovo“ wurde Opfer dieser Politik, die Kosovopolitik Belgrads in den 1990er Jahren nie auf eine Lösung der realen Probleme auf dem Kosovo wie des serbisch-albanischen Verhältnisses orientiert. 

Die nach dem Sturz des Milošević-Regimes an die Macht gekommenen ehemaligen Oppositionsparteien blieben weitgehend in dieser nationalistischen Tradition gefangen. D.h. sie beharrten darauf, dass Kosovo Teil des serbischen Staates und die Akzeptanz einer etwaigen Unabhängigkeit „Verrat nationaler Interessen“ ist. Zugleich boten sie aber kein Konzept an, wie das Kosovo mit und für die albanische Mehrheitsbevölkerung Teil Serbiens sein kann.  

Darin liegt der Hauptgrund, warum sich der Westen nach letzten gescheiterten Verhandlungsversuchen 2008 mehrheitlich politisch gezwungen sah, auf eine Unterstützung der Unabhängigkeit des Kosovos einzuschwenken, bei gleichzeitiger Garantie weitreichender Minderheitenrechte der serbischen Bevölkerung, wie sie im Plan des UN-Vermittlers Ahtisaari

ausdefiniert waren. Weil die nahezu komplette politische Elite Serbiens sich dem Ahtisaari-Plan verweigerte, sah sich der Westen gezwungen, diesen ohne eine UN-Resolution umzusetzen. Obwohl sich die politische Elite bei Ausrufung der Unabhängigkeit des Kosovo im Februar 2008 bewusst war, dass Serbien die Provinz als Teil des Landes verloren hatte, setzten Regierung wie Opposition fort, am Kosovo festzuhalten. Einzig die LDP forderte einen realen Umgang mit den politischen Gegebenheiten. 

Diese Politik hatte zwei zentrale Konsequenzen: Erstens entstand in der serbischen Enklave im Norden des Kosovo ein rechtsfreier, von der serbischen Regierung und den nationalistischen Oppositionsparteien kontrollierter-beeinflusster Raum, indem weder die Behörden des unabhängigen Kosovo noch die EU-Rechtsstaatsmission EULEX Zugang haben. Zweitens hat die Belgrader Regierung einen realitätsfremden Kurs eingeschlagen der darauf basierte, dass Serbien beides erlangen könne – den Kosovo als Teil seines Staatsgebietes zu „erhalten“ und EU-Mitglied zu werden. Diese realitätsferne Politik versuchte die Spaltung der EU in der Kosovofrage – 5 EU Mitgliedsstaaten haben bis heute das Kosovo nicht anerkannt – politisch auszubeuten, unterstützt von einer EU, die weil sie die eigene Gespaltenheit nicht überwinden konnte, lange Zeit auf die Anerkennung politischer Realitäten in Belgrad hoffte. 

2010 hat diese Entwicklung langsam eine andere Richtung bekommen. Im Juni scheiterte mit dem Urteil des International Gerichtshofs in Den Haag (ICJ) das feststellte dass die Ausrufung der Unabhängigkeit des Kosovo völkerrechtlich nicht widerrechtlich war, der Versuch der serbischen Regierung, die Unabhängigkeit zurückzudrehen. Der anschließende, unbeeindruckte Versuch Belgrads, in der UN-Generalversammlung eine Resolution gegen die Unabhängigkeit des Kosovo durchzubekommen bewegte die englische und vor allem die deutsche Regierung, in der Kosovopolitik der EU aktiv zu werden. Beide signalisierten Serbien, dass das Land trotz der Uneinigkeit der Union nicht auf eine EU-Mitgliedschaft hoffen kann ohne die Anerkennung der Realitäten. 

Im sich im Sommer 2011 an Zoll- und Grenzfragen entzündeten gewaltsamen Konflikt der serbischen Bevölkerung im Norden des Kosovo, der zur Auseinandersetzung mit der von einem deutschen General kommandierten internationalen Schutztruppe KFOR geführt hatte, stellte die deutsche Kanzlerin Merkel bei einem Besuch in Belgrad im August ein Paket an Bedingungen für die Gewährung des Kandidatenstatus für Serbien. Diese Bedingungen stellen weitreichende Schritte hin zu einer (de facto) Anerkennung des Staates Kosovo und des Abbaus der Parallelstrukturen im Nordkosovo dar. Auf einer EU-Tagung am 09. Dezember 2011 in Brüssel war es vor allem das deutsche Beharren auf der Erfüllung dieser Bedingungen, das eine positive Entscheidung für Serbiens Kandidatenstatus verhindert hat. 

Die serbische Regierung war damit ein halbes Jahr vor den nächsten Parlamentswahlen zurückgeworfen auf den Scherbenhaufen ihrer Politik und der Notwendigkeit, kurzfristig eine grundsätzliche politische Neuausrichtung in Richtung EU-Integration, welche alternativlos ist, vorzunehmen und sich die Unterstützung einer Bevölkerung für die nächsten Wahlen zu sichern, denen sie in den zurückliegenden Jahren die reale politische Lage, in der sich Serbien befindet, vorenthalten hat. 

Unter starkem europäischem und US-amerikanischen Druck sah sich die serbische Regierung im Februar 2012 gezwungen, in den von der EU-Kommission in Brüssel geleitetet Verhandlungen mit der Regierung des Kosovo Zugeständnisse bei verschiedenen Fragen (u.a. Regelung des Grenz- und Zollregimes zwischen Serbien und Kosovo) einzugehen. Insbesondere einigten sich Serbien und Kosovo nach Druck auf beide Seiten auf eine Regelung, mit der der Staat Kosovo in regionalen Foren im Westlichen Balkan erstmals als Staat sich selbst repräsentieren kann – ohne dass Serbien damit eine Anerkennung Kosovo’s eingegangen ist. Die in letzter Minute so erzielte Einigung machte den Weg frei für die Entscheidung des Europäischen Rats im März 2012, Serbien den zuvor noch verwehrten EU-Kandidatenstatus zu erteilen. 

Obwohl mit der neuen Regierung im Sommer 2012 die Parteien an die Macht gelangten, die die Apartheits- und Kriegspolitik auf dem Kosovo in den 1990er Jahre zu verantworten hatten, bedeutete dies keine nationalistische Kehrtwende in Belgrads Kosovopolitik – im Gegenteil. EU und USA erhöhten nach Arbeitsbeginn der neuen Regierungskoalition den Druck auf Belgrad in Richtung der

Fortsetzung des Dialogs mit Priština, und die Koalition antwortete, trotz nationaler Begleittöne, überraschend pragmatisch. Nach ersten Verhandlungsrunden, in denen die unter der serbischen Vorgängerregierung getroffenen Vereinbarungen resümiert wurden, und sich Belgrad auf deren konsequente Umsetzung verpflichtete, wurde der Dialog auf eine neue Ebene gehoben. 

Unter Vorsitz der EU-Außenbauftragen Lady Ahston kam es im Herbst zum Übergang von technischen Details zu politischen Grundsatzfragen. In Brüssel trafen sich am 19. Oktober die Premiers von Serbien und Kosovo, Dačić und Thači, zur ihrer historisch ersten Begegnung. Der von der EU geleitete Dialog entwickelte sich im Verlaufe der ersten Jahreshälfte 2013 zu überraschend schneller Normalität. Insgesamt fanden innerhalb von sechs Monaten 10 Verhandlungsrunden zwischen den Regierungsspitzen in Brüssel statt, außerdem kam es zur ersten Begegnung der Präsidenten beider Staaten, Nikolić und Jahjaga. In dieser Zeit entwickelte sich die Frage der institutionellen Regelung des Status der Serben in den von ihnen mehrheitlich bewohnten Gemeinden im Nordkosovo zum Hauptstreitpunkt. Der historische Charakter dieser Entwicklung besteht darin, dass hier Serbien erstmalig, wenn auch weiterhin nicht explizit, so doch implizit die Tatsache der staatlichen Unabhängigkeit des Kosovo begonnen hat anzuerkennen. 

Belgrads politische Bemühungen konzentrieren sich folgerichtig auf die institutionell garantierten Rechte der serbischen Minderheit im Kosovo. Zum Hautstreitpunkt zwischen Belgrad und Priština hat sich die Forderung Serbiens nach einer begrenzten territorialen Autonomie für die vier nordkosovarischen Gemeinden mit serbischer Mehrheitsbevölkerung entwickelt.  

Die Verhandlungen fanden unter erheblichem Zeitdruck statt. Die Entscheidung der Europäischen Union über den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Serbien stand auf der Tagesordnung des letzten Gipfeltreffens der EU-Regierungschefs vor der Sommerpause Ende Juni. Eine positive Entscheidung wurde abhängig gemacht vom Ausgang des politischen Dialogs zwischen Belgrad und Pristina. Die EU-Kommission setzte daher den Parteien eine Frist bis Anfang April für den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen. Als in der letzten angesetzten Verhandlungsrunde am 2. April die serbische Delegation einen von der EU-Außenbeauftragen Ashton vorgelegten Entwurf eines Abkommens mit dem Kosovo ablehnte, sah alles danach aus als sei der Dialog gescheitert und Serbien’s EU-Perspektive für längere Zeit blockiert. 

Das Abkommen vom 19. April 2013 

Am 19. April 2013 trafen sich die Delegationen aus Belgrad und Pristina zu einer zusätzlich eingeräumten Verhandlungsrunde. Ein von den EU-Vertretern vorgelegter, modifizierter Vorschlag brachte den Durchbruch. In Beisein von Lady Ashton unterzeichneten der serbische Premier Dačić, sein Vize Vučić und Kosovo’s Regierungschef Thači das First Agreement on Principles Governing the Normalization of Relations. Am 21. Mai folgte die Unterzeichnung eines Implementierungsplans mit konkreten Fristen zu Umsetzung des Abkommens bis zum Jahresende 2013. 

Das Abkommen legt im Wesentlichen zwei Punkte fest: Die Integration der institutionellen Strukturen in den mehrheitlich serbisch bewohnten vier Gemeinden im Nordkovoso sowie zusätzliche ethnische Kollektivrechte für die serbische Minderheit im Norden. So sieht die Vereinbarung die Integration der 

Polizei- und Justizstrukturen im Norden in die entsprechenden Institutionen des Staates Kosovo vor. Mit der Abhaltung von Kommunalwahlen in den vier Kommunen „in Übereinstimmung mit kosovarischem Recht“ (bisher wurden Wahlen im Rahmen von Serbien’s Kommunalwahlen organisiert) ist ein weiterer zentraler Bestandteil der Integration der serbischen Gemeinden. Auf der anderen Seite garantiert die Vereinbarung die Schaffung eines serbischen Kommunalverbandes, in dem allerdings die beteiligten Kommunen nur Teil ihrer kommunalen Zuständigkeiten gemeinsam verwalten. 

Zusätzlich zu den in der kosovarischen Verfassung bisher garantierten Kollektivrechten sieht das Abkommen die Schaffung des Postens eines regionalen Polizeikommandanten für den Norden vor, der serbischer Nationalität sein muss und vom Kommunalverband vorgeschlagen wird. Zugleich wird im Justizwesen ein zweitinstanzliches Gericht für den Nordkosovo geschaffen, das mehrheitlich mit serbischen Richtern besetzt sein soll.

Auf dem Treffen des EU-Rates beschlossen die Staats- und Regierungschefs am 28. Juni 2013, Beitrittsverhandlungen mit Serbien aufzunehmen. Die vollständige Implementierung des Abkommens vom 19. April bis Ende 2013 wurde zur Bedingung der Eröffnung der accession talks gemacht. Auf ihrer Dezembersitzung 2013 beschloss der EU-Rat aufgrund substanzieller Fortschritte in der Umsetzung des April-Abkommens, also trotz nur partieller Implementierung, dennoch, dass die Kommission im Januar 2014 Beitrittsverhandlungen mit Serbien aufnehmen solle. Am 21. Januar 2014 fand die erste Runde der Verhandlungen statt. 

Nachdem direkt nach der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen der Parteivorsitzende der SNS entschieden hatte, den europapolitischen Erfolg durch vorgezogene Neuwahlen innenpolitisch zu kapitalisieren, setze eine Blockadeperiode im serbisch-kosovarischen Dialog ein. Infolge von serbischen Parlamentswahlen im März, Europawahlen im Mai und Parlamentswahlen im Kosovo im Juni – und anschließender Regierungsbildungskrise – blieb die Umsetzung des Aprilabkommens und der Dialog insgesamt praktisch das gesamte Jahr 2014 auf Eis gelegt. 

Beschränkte Fortschritte gab es einzig im technischen Teil des Dialogs. Erst nachdem im Dezember 2014 eine neue Regierung im Kosovo vereidigt wurde, wurde der Weg für die Fortsetzung des Dialogs und die Umsetzung des April-Abkommens freigemacht. Unter Leitung der neuen EU Außenbeauftragten, Frederica Mogherini, fand am 09. Februar 2015 erstmals nach fast einem Jahr das erste Treffen der neuen Premierminister und Vizeregierungschefs von Kosovo und Serbien zusammen. Die Teilnehmer einigten sich auf eine Regelung für die Justiz im Nordkosovo, womit der Weg für die Umsetzung des Justizteils des Aprilabkommens freigemacht wurde.  

Das Abkommen vom 25. August 2015 

Nachdem der Einigung über die Umsetzung des Justizteils des April-Abkommens verblieb noch ein Hauptbestandteil des Abkommen, das nicht umgesetzt war – die Errichtung des serbischen Gemeindeverbandes durch die Einigung über ein Statut des zukünftigen kommunalen Verbundes. Hier gab es bis Sommer 2015 praktisch keinerlei Fortschritte. Da Serbien auf die Eröffnung der ersten Beitrittskapitel noch in 2015 drängte, für eine Einigung aber nicht genug Zeit blieb, verabredeten EU, serbische und kosovarische Regierung auf einer Sitzung des politischen Dialogs am 25. August in Brüssel ein Abkommen als Zwischenschritt „Vereinigung der serbischen Mehrheitsgemeinden – allgemeine Prinzipien/ Hauptelement“. In dem Abkommen wurde der institutionelle Rahmen für das zu verabredende Statut vereinbart. Dazu gehören die zentralen Organe des Gemeindeverbandes sowie seine Kompetenzen. 

Dieser Teildurchbruch erlebte allerdings im Dezember 2015 einen Rückschlag. Infolge des massiven Widerstands der parlamentarischen Opposition im Kosovo gegen die Vereinbarung, hatte die Präsidentin des Kosovo das Abkommen zum Verfassungsgericht geschickt. Am 23. Dezember urteilte das Gericht, dass Teile des Abkommens verfassungswidrig sind und ordnete an, dass die Regierung sicherstellt, dass im zukünftigen Statut diese Teile korrigiert werden, und das Statut dem Gericht zur Prüfung vorgelegt wird. 

Aufgrund der vorgezogenen Neuwahlen in Serbien und der lang andauernden Regierungsbildung verzögerte sich auch 2016 die Umsetzung der im Dialog getroffenen Vereinbarungen weiter. Während einige Einigung zum Erhalt einer internationalen Telefon-Vorwahlnummer für das Kosovo gefunden werden konnte, blieben jegliche Fortschritte zur Implementierung des letzten verbliebenen Teils des April-Abkommens, die Gründung des serbischen Gemeindeverbandes, weiter aus. 

„Russischer“ Zug und serbische Kriegsdrohungen 

Anfang 2017 mündete der in eine Krise geratenen Dialog zwischen Serbien und Kosovo beinahe in einer gewaltsamen Eskalation. Am 14. Januar hatte die serbische Regierung einseitig die Wiederöffnung der Zugstrecke zwischen der Hauptstadt Belgrad und im Nordkosovo gelegenen Stadt Nord-Mitrovica geplant. Die Fahrt des in Russland gekauften Zuges geriet zur politischen

Provokation: Der Zug war von außen mit den serbischen Landesfahren bemalt und der Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ in 21 Sprachen versehen worden. Nachdem die kosovarischen Regierung eine Einheit der Sonderpolizei an die Nordgrenze des Landes geschickt hatte, stoppte die serbische Regierung die Fahrt an der letzten Station vor der Grenze und begründete ihre Entscheidung damit, dass die Sonderpolizei die Schienen vermint habe – ein Vorwurf, den die kosovarische Regierung zurückwies. In einer anschließenden Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates Serbiens drohte Staatspräsident Nikolić mit dem Einsatz der Armee zum Schutz der serbischen Minderheit im Kosovo. In einem Ende Januar anberaumten Treffen der Staats- und Regierungschefs der beiden Länder in Brüssel verpflichteten diese sich in Beisein der EU-Außenbeauftragten zur Deeskalation. 

Beginn der „neuen Phase“ im Dialog 

Im Juli und August 2017 trafen in Brüssel unter Vorsitz der EU-Außenbeauftragten Frederica Mogherini Aleksandar Vučić und Hashim Thači erstmals in ihren neuen Funktionen als Präsidenten Serbiens bzw. des Kosovos im Rahmen des Dialogs aufeinander. Nach der Sitzung im Juli verkündeten beide Seiten den Beginn einer „neuen Phase“ im Dialog. Während Präsident Thači von der Vereinbarung eines weitreichenden Abkommens zur Normalisierung der Beziehungen der beiden Länder als Ziel der neuen Phase sprach, redete Präsident Vučić vom Ziel der historischen Versöhnung zwischen Serben und Albanern im Westbalkan. Jenseits dieser sehr nebulösen Äußerungen blieben das tatsächliche Format wie die Inhalte und Ziele der neuen Phase des Dialogs zunächst unklar. Nach dem Sommer erklärte Präsident Vučić die Initiierung eines internen Dialogs in Serbien, den er mit der Veröffentlichung eines Leitartikels in den serbischen Medien selbst eröffnete. 

Dieser trug allerdings nicht zur Klärung bei, sondern stiftete eher zusätzliche Verwirrung bzgl. der Ziele und Rahmenbedingungen. Im Oktober 2017 erklärte der Präsident dann unvermittelt die erste Phase des internen Dialogs für beendet, sowie den Beginn der zweiten Phase, die bis März 2018 dauern sollte. An dessen Ende sollte dann die Veröffentlichung einer serbischen Verhandlungsposition durch Präsident Vučić stehen, die zunächst für den März, und später dann für den April 2018 angekündigt worden war. Unter der Federführung des Regierungsbüros für Kosovo und Metohija wurde begonnen, runde Tische zum Kosovo zu organisieren, allerdings zunächst nur mir öffentlichen Institutionen wie der juristischen Fakultät der Universität Belgrad oder der Serbischen Akademie der Wissenschaften, und unter Ausschluss sowohl von Zivilgesellschaft wie Opposition – was die Ernsthaftigkeit des Unterfangens erheblich in Frage stellte.

Soweit bekannt ist, handelt es sich bei der sogenannten neuen Phase im Dialog tatsächlich um die Absicht, den bisherigen schrittweisen Ansatz durch Verhandlungen über ein umfassendes, rechtlich bindendes Abkommen zwischen Serbien und Kosovo zu ersetzen. In dessen Rahmen sollen dann auch zentrale Fragen wie die der gegenseitigen Anerkennung und dem Ende der Blockade der Mitgliedschaft der Republik Kosovo in internationalen Institutionen wie EU und UN durch Serbien geregelt werden. Die eigentlichen Verhandlungen begannen allerdings nicht, solange keine neue deutsche Regierung im Amt war, d.h. bis zum Frühjahr 2018 – angesichts der Führungsrolle, die Berlin im Dialog einnimmt. 

Diese Monate der Wartestellung vor dem Beginn der eigentlichen Verhandlungen sorgten für erhebliche politische Verunsicherung der politischen Eliten wie der breiteren Öffentlichkeit in Serbien wie im Kosovo. Politische Spannungen wurde insbesondere durch den öffentlichen politischen «Spin» hoher Regierungsvertreter Serbiens angeheizt, die für politische «Lösungen» warben, welche für Prishtina und den Westen inakzeptable sind: Vorschläge zur Teilung des Kosovos, wobei der mehrheitlich serbisch bewohnte Norden Serbien zugeschlagen werden soll, oder Gebietstausch zwischen Nordkosovo und der mehrheitlich albanisch bewohnten Region Preševo in Südserbien. Insbesondere der serbische Außenminister Ivica Dačić tat sich bei der Befeuerung derartiger Ideen hervor. 

Ende März 2018 eskalierte die angespannte politische Stimmung: infolge von Konflikten zwischen der serbischen und kosovarischen Regierung um die Teilnahme hochrangiger serbischer Regierungsvertreter an einer Veranstaltung des internen serbischen Dialogs im Norden Kosovos, in

Nord-Mitrovica, verweigerte Prishtina den Regierungsoffiziellen die Einreise. Als der Leiter des Regierungsbüros für den Kosovo, Marko Đurić, illegal in den Kosovo einreiste, wurde er in einer Aktion der kosovarischen Sonderpolizei Rosa auf der Veranstaltung in Mitrovica verhaftet, und nach Aufnahme seiner Aussage in Prishtina nach Serbien deportiert. Der Polizeiaktion, bei der es zahlreiche Verletzte gegeben haben soll, stellte die größte politische Eskalation seit Januar 2017 dar. Dennoch kam es zu keinerlei größeren Unruhen im Norden des Kosovo. Die Vertreter der serbischen Minderheit in der Regierung Kosovos stellten allerdings den Verbleib in der Regierung in Frage. 

Gebietstausch-Vorschlag und Eskalation zwischen Serbien und Kosovo 

Ende August 2018 präsentierten die Präsidenten Serbiens und Kosovos überraschend erstmals öffentlich den Vorschlag eines Gebietstausches zwischen Kosovo und Serbien als Kern eines umfassenden Abschlussabkommens. Die Idee fand Unterstützung bei der EU-Außenbeauftragten Mogherini und in einigen wenigen westlichen Hauptstädten, allen voran in Paris und Washington. Sie traf aber auf starke Ablehnung vieler europäischer Regierungen, allen voran Deutschlands, sowie fast einhellig auf Seiten der parlamentarischen Parteien im Kosovo, die sich einerseits gegen die Untergrabung der territorialen Integrität Kosovos verwehrten, andererseits vor der Destabilisierung der Region Westbalkan durch das Hoffähig-Machen ethnoterritorialer „Lösungen“ warnten. Ein konkreter Plan wurde von den beiden Präsidenten nicht präsentiert. Deutlich wurde aber die Idee, den mehrheitlich serbisch bewohnten Norden Kosovos (oder zumindest Teile davon) Serbien zuzuschlagen, sowie der Vorschlag, im Gegenzug die teils albanisch bewohnte südserbische Region (oder einen Teil) Preševo an Kosovo anzuschließen. 

Infolge der Vorschläge sind im Verlauf des Herbstes 2018 die Spannungen zwischen Belgrad und Prishtina eskaliert und die Brüsseler Verhandlungen zum Erliegen gekommen. Nachdem die serbische Regierung Ende November erfolgreich gegen den Mitgliedsantrag des Kosovo in Interpol opponiert hatte, beschloss die kosovarische Regierung die Einführung von 100 Prozent Strafzölle gegen serbische Waren beim Import nach Kosovo, und am 14. Dezember beschloss das kosovarische Parlament, den Prozess zur Gründung einer eigenen Armee einzuleiten. Die Einführung der Zölle führte zu massiven Protestaktionen der kosovo-serbischen politischen Führung, darunter dem Rücktritt der vier serbischen Bürgermeister im Nordkosovo. 

Präsident Vučić bestand darauf, dass es keine Fortsetzung der Brüsseler Verhandlungen gebe bis zur Rücknahme der Zölle. Seit November 2018 bleibt so der Verhandlungsprozess ausgesetzt und die Zölle weiter in Kraft. Mit einem am 29. April 2019 von der deutschen Kanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Macron in Berlin organisierten Mini-Westbalkangipfel scheiterte zwar der deutsch-französische Versuch, die festgefahrenen Verhandlungen wieder in Gang zu bringen. Zugleich scheint aber mit der wiederbelebten Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin der Idee eines Gebietstauschs endgültig Einhalt geboten worden zu sein. Die anschließenden Bemühungen, zwischen Prishtina und Belgrad Voraussetzungen für die Wiederaufnahme der Brüsseler Verhandlungen zu vereinbaren, wurden durch den im Juli angekündigten Rücktritt des kosovarischen Ministerpräsidenten Haradinaj und die für den 6. Oktober 2019 angesetzten Neuwahlen des kosovarischen Parlaments vorerst unterbrochen. 

Infolge der sich durch die bis Ende November verzögerten Verkündung des offiziellen amtlichen Endergebnisses der Wahlen hinziehenden Regierungsbildung im Kosovo wie dem späten Amtsantritt der neuen EU-Kommission erst zum 1. Dezember, blieben die Bemühungen zur Wiederaufnahme der Brüsseler Verhandlungen die gesamte zweite Jahreshälfte 2019 ausgesetzt. 

Fragwürdiges Washingtoner Abkommen 

Im März 2020 trafen sich zum ersten Mal seit Ende 2018 die Präsidenten Serbiens und Kosovos, Vučić und Thaçi, und zwar im Weißen Haus in Washington unter Federführung des neuen Sondergesandten des US-Präsidenten für die Verhandlungen und ehemaligen Botschafter in Deutschland, Richard Grenell. Bereits im Vormonat hatten sich die Drei in München getroffen, wo am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz Absichtserklärungen zum bilateralen Luft-, Eisenbahn und

Autobahnverkehr unterzeichnet wurden. Die Entwicklungen führten v.a. im Kosovo zu massiver Kritik, da Präsident Thaçi einseitig, an der neuen Regierung vorbei agierte. Vor Ort und international wurden den involvierten Offiziellen vorgeworfen, es handele sich um einen neuen Versuch der beiden Präsidenten mit Unterstützung der Trump-Administration ein Gebietsaustauschabkommen gegen alle Widerstände durchzudrücken. 

Diese Befürchtungen bekamen Mitte Juni neue Nahrung, als Grenell überraschend Organisation einer Konferenz am 27. Juni im Weißen Haus mit den Präsidenten und Ministerpräsidenten der beiden Länder ankündigte. Mit dem Sturz der Kurti-Regierung im Kosovo infolge amerikanischen Drucks, und der damit einhergehenden Aufhebung der Strafzölle gegen Serbien war Anfang Juni der Weg freigeworden für Verhandlungen. Die Konferenz musste jedoch kurzfristig abgesagt werden, nachdem am 24. Juni der Kosovo-Sondergerichtshof in Den Haag veröffentlichte, dass die Staatsanwaltschaft im April eine Anklageschrift gegen Präsident Thaci wegen Kriegsverbrechen beim Gericht eingereicht hatte, und dieser daraufhin seine bereits begonnene Reise nach Washington abbrach. 

Wiederbelebt wurde die amerikanischen Bemühungen schließlich nach dem Sommer 2020: nach zweitägigen Verhandlungen einer serbischen und einer kosovarischen Delegation unterzeichneten Präsident Vučić für Serbien und Premierminister Hoti für Kosovo in Anwesenheit von US-Präsident Donald Trump das sogenannte Washingtoner „Abkommens“ am 4. September 2020 im Weise Haus, tatsächlich zwei getrennte Briefe. Den Kern der rechtlich nicht bindenden und insgesamt inhaltlich wenig konkreten Vereinbarungen bildeten Punkte zur Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, deren Kern die drei Abkommen vom Beginn 2020 darstellten. Einen zweiten, überraschenden Teil stellten Vereinbarungen dar, die nichts mit dem Kosovo-Serbien-Konflikt zu tun haben, sondern Verpflichtungen der beiden Westbalkanländer auf zentrale Eckpunkte Trump‘scher Außenpolitik (zu Nahost, China und Russland). Die meiste politische Aufmerksamkeit erregte die diplomatische Anerkennung zwischen Israel und Kosovo sowie die Verpflichtung von Präsident Vučić, die Botschaft Serbiens von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. 

Letzter Punkt brachte Serbien massive Kritik der EU ein, deren Vertreter energisch darauf hinwiesen, dass die Trump’sche Israelpolitik nicht in Einklang mit der der EU stehe, und Serbien im Beitrittsverhandlungsprozess mit der Union darauf verpflichtet sei, ihre Außenpolitik mit der der EU zu harmonisieren. Währenddessen führte der Punkt im Abkommen zu Russland (Diversifizierung der Energieversorgung Serbiens) zu ungewöhnlichen politischen Spannungen zwischen Belgrad und Moskau. 

Neustart der Brüsseler Verhandlungen unter transatlantischem Druck 

Zuvor hatte die EU im Juli 2020 nach 20 Monaten Unterbrechung die von ihr geführten Verhandlungen um ein umfassendes Abschlussabkommen zwischen Serbien und Kosovo wieder in Gang gesetzt. Am 10. Juli fand unter Federführung des französischen Präsidenten Macron und der deutschen Kanzlerin Merkel der sog. Paris-Gipfel, statt. 4 Tage später markierte dann in Brüssel ein physisches Treffen zwischen dem kosovarischen Premier und dem serbischen Präsidenten die offizielle Wiederaufnahme der Verhandlungen. 

Bei nachfolgenden Treffen im Juli und August in Brüssel, teils auf Expertenebene, ging es um bilaterale Themen wie vermisste Personen und Wirtschafts- bzw. Eigentumsfragen. Die Verhandlungen werden vom ehemaligen slowakischen Außenminister Miroslav Lajcak geführt, den die EU im April 2020 mit dem neugeschaffenen Amt des EU-Sondergesandten für die Kosovo-Serbien-Verhandlungen betraut hat. Das unilaterale, unkoordinierte Vorgehen der USA wie das Washingtoner Abkommen, haben allerdings zu einer unmittelbaren Schwächung der Führungsrolle der EU im politischen Dialog wie der Autorität des EU-Sondergesandten Lajcak geführt.

Die Texte stammen vom Länderportal der GIZ, welches vom Netz genommen ist. Die Autorin heisst Dr. Azra Dzajic-Weber, studierte und promovierte in Germanistik und Slawistik an der Georg-August-Universität Göttingen. Die GIZ und der Autorin ist informiert worden, dass die Infos auf meiner touristischen Länderseite zu Serbien veröffentliche.