Die Kultur Serbiens gilt als eine der vielfältigsten der slawischen Völker. Serbien hat eine reiche Tradition in Literatur, Musik, Architektur. Dabei mischen sich kontinentaleuropäische und orientalische Einflüsse. Die serbische Küche wurde wesentlich beeinflusst von der griechischen, türkischen, österreichischen, ungarischen und italienischen Küche.
- Anteil alphabetisierte Erwachsene 97,8 %
- bedeutendste Religion serbisch-orthodox 85 %
- Städtische Bevölkerung 56 % (2011)
- Lebenserwartung 73,2 / 79,2 Jahre (m/w, 2019)
- Gender Inequality Index Rang 37 (von 160) (2018)
- Anzahl der Geburten 1,48 / Frau (2017)
- Kindersterblichkeit 5,6/ 1000 Lebendgeburten (2019)
Gesellschaftsstruktur
Laut Ergebnis der Volkszählung von 2011 hatte Serbien 7.120.666 Einwohner (ohne Kosovo). Serbiens Bevölkerungswachstum ist seit Jahren negativ. Mitte 2019 hatte Serbien daher nur noch eine Gesamtbevölkerung von 6.963.764. So hatte das Land 2011 einen Verlust von fast 380.000 Einwohnern gegenüber der Volkszählung von 2002 zu verzeichenen. 2017 betrug das Bevölkerungswachstum geschätzte -0,5 %. Mit 40,7 Jahren Durchschnittsalter laut letzter
Volkszählung gehörte die serbische Bevölkerung zu den ältesten der Welt. 2017 waren 18,4 % über 65 Jahre alt, die durchschnittliche Lebensdauer beträgt 71 Jahre bei Männern und 76 Jahre bei Frauen. 2019 fand ein Pilot-Zensus zur Vorbereitung der Volkszählung in 2021 statt.
Der Urbanisierungsgrad in Serbien beträgt nach den letzten verfügbaren Zahlen aus dem Jahr 2011 56 Prozent. Rund zwei Drittel davon lebt in der größten serbischen Stadt, der Hauptstadt Belgrad, in der rund 29 Prozent der Gesamtbevölkerung leben. Mit 44 Prozent weist Serbien im europäischen Vergleich einen eher hohen Anteil an ländlicher Bevölkerung auf.
Ethnische Zusammensetzung
Serbien ist trotz der Folgen der ethnischen Kriege der 1990er Jahre und des Verlust des mehrheitlich albanisch besiedelten Kosovo ein Vielvölkerstaat geblieben. Die Volkszählung von 2011 ergab folgende ethnische Struktur – 83,32 % der Bevölkerung bezeichneten sich als Serben. Der überwiegende Teil des Rests bezeichnet sich als zu einer der Minderheiten zugehörig, die zahlenmäßig größten darunter sind: Ungarn – 3,53 %, Bosniaken (v.a. in der Region Sandschak)- 2,02 %, Roma – 2,05 %, Jugoslawen – 1,08 %, Kroaten – 0,81%, Albaner (überwiegend: Südserbien) – 0,82 % (letzte verfügbare Zahl aus 2002, da die Mehrzahl der Albaner die Volkszählung 2011 boykottiert hatten).
In der Provinz Vojvodina gibt es die größte Anzahl ethnischer Minderheiten, über 25. Sie machen rund ein Drittel der Bevölkerung aus. Die größten Gruppen sind: Ungarn – 13,00%, Slowaken – 2,60%, Kroaten – 2,43%, Montenegriner – 1,15%, Jugoslawen – 0,63%. Der serbische Staat garantiert gewisse Minderheitenrechte hinsichtlich der offiziellen Verwendung von Minderheitensprachen, der Gründung von Minderheitenräten als nationale Vertretung sowie der Aufhebung der Sperrklausel für ethnische Minderheitenparteien im serbischen Parlament.
Soziale Schichtung
Die serbische Gesellschaft hatte sich in der sozialistischen Phase der Modernisierung in eine moderne Industriegesellschaft entwickelt. Entstanden war eine breite sozialistische Mittelschicht, der Anteil an bäuerlicher Bevölkerung, an in der Landwirtschaft hauptberuflich Beschäftigen sank auf ein Westeuropa vergleichbar niedriges Niveau während der Anteil an Personen mit Fachausbildung und Hochschulabschluss insbesondere ab den 1960er Jahren kontinuierlich anstieg. Während der Herrschaft von Slobodan Milošević kam es zum einem radikalen Wandel der Gesellschaftsstruktur: die ehemalige Mittelschicht verschwand ökonomisch fast vollständig, eine drastische soziale Ausdifferenzierung zwischen 90% verarmter Bevölkerung und 10% Reichen (die zum Regime gehörenden Eliten) fand statt. Ein größerer Teil der Jugend emigrierte im Kriegsjahrzehnt, geschätzte 100.000 junge Männer flüchteten vor dem Militärdienst ins Ausland, viele, vor allem sehr gut ausgebildete folgten ihnen.
Diese Gesellschaftsstruktur „normalisiert“ sich nur langsam seit dem letzten Jahrzehnt, noch immer gibt es einen starken Braindrain von jungen Leuten, weil die soziale Mobilität der jüngeren Generationen blockiert und die Jugendarbeitslosigkeit sehr hoch ist. Durch die Ereignisse der 1990er Jahre, in denen in Serbien Kriegsgewinnler und Kriegsverbrecher zu Vorbildern und Volkshelden aufstiegen, ist das bestehende Wertesystem zusammengebrochen bzw. wurde auf den Kopf gestellt. Zugleich ist es zu einer Retraditionalisierung in der serbischen Gesellschaft gekommen durch die enge Verflechtung von Politik und Religion, von serbisch-orthodoxer Kirche in den Kriegsjahren.
In Serbien ist Armut weiterhin ein relevantes soziales Problem. 2011 betrug der Anteil armer Menschen an der Gesamtbevölkerung 9,2 Prozent. Zwischen 2006 und 2016 ist er nur unwesentlich gesunken, und folgte weitestgehend dem Bevölkerungsrückgang. Armut ist vor allen in ländlichen Gebieten und vor allem im Süden und Osten Serbiens anzutreffen. Sie betrifft vor allem Haushalte, in dem die arbeitsfähigen Familienmitglieder über eine geringe oder gar keine Ausbildung verfügen bzw. arbeitslos sind. Besonders von Armut betroffen sind auch Kinder und Jugendliche. Ohne den privaten Lebensmittelanbau zur Eigenversorgung wär die Armut 2016 um 8,7 Prozent höher gewesen.
Geschlechterverhältnisse
Das hat sich vor allem auf die Geschlechterverhältnisse ausgewirkt. In der sozialistischen Industriegesellschaft Jugoslawiens waren Frauen von einem traditionellen sozialen Milieu rasch aufgestiegen zu gewisser Emanzipation, v.a. auch durch einen den Männern nahezu gleichen Beschäftigungsgrad – Berufstätigkeit wurde der Normalfall. Vom parallelen Prozess von wirtschaftlichen Zusammenbruch und Retraditionalisierung waren in den 1990er Jahren vorwiegend die Frauen betroffen. Während es Frauen waren, die als erstes die Arbeit verloren, drängte die Kirche gestützt von Staat und nationalistischer Ideologie stark in den öffentlichen Raum und propagierte die Rückkehr zum traditionellen Familienmodell mit der Frau als Mutter und Hausfrau. Während es real vielfach die Frauen waren, die die Familien in Zeiten zusammenhalten mussten, in denen Männer in den Kriegen teils im Militärdienst waren, waren und sind sie vermehrt Opfer von häuslicher Gewalt, eine Langzeitfolge der Kriegstraumatisierung der Soldatengeneration.
Die EU stellt in einem 2012 veröffentlichten Country Profile zu Geschlechterdemokratie fest, dass Frauen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen struktureller Diskriminierung unterworfen sind, nicht zuletzt auf dem Arbeitsmarkt. Die wichtigsten Daten zu den Geschlechterverhältnissen hat das Statistikamt Serbiens auf der Grundlage der Volkszählung 2011 ermittelt.
Seit 2016 erstellt die serbische Regierung den EU-internen Gender Equality Index für Serbien, und damit als einziges nicht-EU-Land. Im Dezember 2018 erschien der Index für das Jahr 2016. Trotz deutlicher Verbesserungen gegenüber 2014 blieb Serbien im europaweiten Vergleich auf Rang 22 bezüglich der Geschlechtergerechtigkeit. Die größten Fortschritte machte das Land in Bezug auf die Teilhabe von Frauen am politischen Leben. Relativ am Schlechtesten schneidet Serbien in Bezug auf die Beschäftigung von Frauen ab. Frauen verdienten in Serbien im Schnitt 16 Prozent weniger als Männer bei vergleichbarer Qualifikation und Arbeit.
Sprache
Die Hauptamtssprache in Serbien ist Serbisch, das faktisch überall im Land gesprochen wird. In der nordserbischen Provinz Vojvodina sind neben Serbisch auch Ungarisch, Kroatisch, Russinisch, Slowakisch und Rumänisch als Amtssprachen anerkannt. In Teilen Südserbiens (Preševo-Tal) wird Albanisch gesprochen. Nach der im November 2006 in Kraft getretenen Verfassung wird die serbische Sprache in Serbien offiziell in kyrillischer Schrift geschrieben, wobei in Medien und im Alltag parallel auch die lateinische Schrift verwendet wird – vor allem in Belgrad und in der Vojvodina, weniger in Zentralserbien und im Süden.
Serbiens Bildungssystem besteht aus einer achtjährigen, verpflichtenden Grundschule; daran schließt sich die Sekundärstufe an – die allgemeinbildenden Sekundarschulen, Gymnasien, führen in vier Jahren zur allgemeinen Hochschulreife; verschiedene berufliche Mittelschulen dauern bis zu vier Jahren, und schließen mit unterschiedlichen Abschlüssen bzw. berechtigen zum Fachhochschulstudium. Das Hochschulwesen umfasst staatliche und private Universitäten.
Serbien hatte im Sozialismus ein gutes Bildungssystem – ein gutes Schulsystem, entwickelte
Hochschulen mit der Universität Belgrad als einer der ältesten Universitäten auf dem Balkan und einem im Sozialismus entwickelten Sektor für Erwachsenenbildung, mit dessen Hilfe die Mitte des 20. Jahrhunderts hohe Analphabetenrate erfolgreich bekämpft worden war. Infolge der politischen Ereignisse hat das Bildungssystem in den 90er Jahren einen Niedergang erlitten. Es war betroffen von wirtschaftlichem Niedergang, internationaler Isolation und Brain Drain und von einer ideologischen (nationalistischen) Indoktrinierung, die durch das Bildungswesen realisiert wurde.
Im vergangenen Jahrzehnt seit dem Regimewechsel ist eine Reform und Modernisierung des Bildungswesens eingeleitet worden. Die Ausgaben für Bildung, u.a. für Grund- und weiterbildende Schulen sind erhöht worden. Ein besonderes Problem stellt der Zustand der berufsbildenden Schulen dar. Viele Bildungszweige sind veraltet und nicht angepasst auf die Bedingungen eines modernen Arbeitsmarktes. Zugleich ist die Ausbildung in vielen Berufsschulen zu theorielastig, der arbeitspraktische Teil ist unterentwickelt. Mit Hilfe internationaler Organisationen, allen voran der deutschen GIZ hat die serbische Regierung in den letzten Jahren begonnen mit der Modernisierung des Berufsbildungssystems.
Im Hochschulsektor hat im Rahmen des Bologna-Prozesses hat die Modernisierung des Hochschulbereichs eingesetzt, der vom Niedergang des Bildungssektors besonders stark betroffen gewesenen war. In Serbien gibt es fünf staatliche Universitäten – in Belgrad, Novi Sad, Niš, Kragujevac und Novi Pazar-, daneben existieren eine Reihe von Fachhochschulen. Außerdem hat sich im zurückliegenden Jahrzehnt ein paralleler privater Hochschulsektor entwickelt mit mittlerweile 12 privaten Universitäten.
Im Schuljahr 2016/17 besuchten insgesamt 1.270.542 Kinder und Jugendliche eine Bildungseinrichtung in Serbien – davon besuchte 17% eine Vorschule, 43% Grundschulen, 19% Sekundärschulen und 21% Tertiärschulen. 98,6% der schulpflichtigen Kinder besuchten die Grundschule, während der Anteil in der Sekundärschule noch immer bei 90% lag.
Ein besonderes Problem stellt das weitgehende Verschwinden von Grund- und Weiterbildungsprogrammen für Erwachsene dar. Die Zusammenarbeit zwischen serbischen und deutschen Hochschulen fördert der DAAD.
Gesundheitswesen
Das Gesundheitswesen ist wie der Rest der Sozialsysteme in Serbien seit den 1909er Jahren stark unter ökonomischen Druck geraten. Serbien hatte von Jugoslawien ein staatliches Gesundheitswesen übernommen, in dem alle Arbeiter und Angestellte sowie ein Großteil der Selbstständigen eine fixen Anteil ihres Lohns (12,3%) in den staatlichen Gesundheitsversicherungsfonds einzahlten, aus dem die kostenlose Bereitstellung medizinischer Versorgung für die Bevölkerung finanziert wurde. Infolge des wirtschaftlichen Niedergangs wurde das System instabil, mit 2 Millionen Beitragszahlern und 7 Millionen Versicherten. Der Gesundheitsfond häufte ein großes Defizit an, die nicht aufrecht zu erhaltende Finanzierung kostenloser Dienste wurde zunehmend ergänzt durch unmittelbare Bezahlung von Leistungen durch die Versicherten.
Gehälter im Gesundheitswesen fielen drastisch, Investitionen blieben aus, Mangel an Medikamenten und medizinischen Artikeln verbreitete sich, Bestechung und Korruption wurden systemisch und es kam zu einer Verlagerung von Patienten und medizinischer Ausrüstung in einen wachsenden, unkontrollierten und von der Versicherung nicht abgedeckt privaten medizinischen Sektor.
In der ersten Hälfte des zurückliegenden Jahrzehnts hat die serbische Regierung mithilfe der Weltbank eine Reform des Gesundheitswesens in Angriff genommen. So wurde die Transparenz im Gesundheitssystem, insbesondere im privaten Sektor wesentlich erhöht. Die Ausgaben des Versicherungsfonds konnten stabilisiert werden.
Ein modernes Medizinkonzept, das den Schwerpunkt auf Vorsorge und Präventivmedizin setzt, wurde eingeführt. Die Strukturprobleme des serbischen Gesundheitswesens sind allerdings geblieben. Das bezieht sich v.a. auf die steigende Finanzierungslücke durch das öffentliche Krankenversicherungssystem, das zurückgeht auf eine alternde Bevölkerung und eine niedrigen Beschäftigungsgrad. Außerdem werden die Krankenkassenbeiträge von 20% der Bevölkerung (von Angestellten im öffentlichen Sektor und ihren Angehörigen) aus dem Staatshaushalt bezahlt.
Während die öffentliche Finanzierung des Gesundheitswesens abnahm, stieg parallel der Anteil von privaten Ausgaben an den Gesamtausgaben im Gesundheitswesen auf 42,4% in 2017. Dabei handelt es sich um Direktzahlungen der Bürger, oft bedingt durch die strukturelle Korruption. Hinzu kommt die zunehmende Abwanderung bzw. Anwerbung von Ärzten und Pflegekräften nach Westeuropa, insbesondere nach Deutschland.
Insgesamt sind die öffentlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen in Serbien relativ hoch bei vergleichsweise schlechter Leistung. So waren die Gesundheitsausgaben 2019 bei 9,1% des BiP, nahe an denen der reichsten EU-Mitgliedsstaaten (Deutschland 11,5%, Österreich 10,3%). Die Anzahl an Krankenhausbetten und Ärzten pro 1.000 Einwohner lagen dagegen mit 5,7 bzw. 3,1 deutlich unter den Zahlen von EU-Staaten mit vergleichbarer Ausgabenhöhe (Deutschland 8,3 und 4,2). In Serbien waren 2016 2.700 HIV-Infizierte registriert. Weitere relevante Infektionskrankheiten in Serbien sind Tetanus, Diphterie und Hepatitis A und B.
Die Herausforderungen der Corona-Pandemie
Die Corona-Pandemie stellt für das serbische Gesundheitswesen eine große Herausforderung dar. Wie für die meisten Länder der Welt bestand das erste Problem im Mangel an Schutzausrüstung und Corona-Tests, sowie in den Kapazitätsgrenzen der Intensivmedizin. Seit 1990 sind in Serbien 16% der Intensivbetten abgebaut worden. Die Kapazitäten an Beatmungsgeräten blieben zu Beginn der Krise unklar, da die Zahl von der Regierung zum Staatsgeheimnis erklärt wurde.
Die Maßnahmen der serbischen Regierung konzentrierten sich daher auf die rasche Beschaffung von Beatmungsgeräten, durch Kauf wie Spenden sowie an Schutzausrüstung und Tests. Außerdem wurden auf dem Belgrader Messegelände und auf der Messe Novi Sad zusätzliche Bettenkapazitäten von 3.000 bzw. 1.000 Betten geschaffen. Zugleich beschloss die Regierung eine Erhöhung der Gesundheitsausgaben um 100 Mio. Euro. Darunter fällt eine 10-prozentige Lohnerhöhung im Gesundheitswesen – welche allerdings lediglich der Höhe der in den letzten Jahren vorgenommenen Lohnkürzungen entspricht. Schließlich erließ die Regierung ein Ausfuhrverbot für gewisse Medizingüter.
Aufgrund des massiven Rückgangs der Zahlen an Neuinfektionen im Laufe des April, und der Aufhebung von Ausnahmezustand und Lockdown Anfang Mai wurden die zusätzlichen Bettenkapazitäten in Belgrad und Novi Sad wieder abgebaut.
LGBT
Die serbische Gesellschaft weist starke konservative Züge auf, welche durch die nationalistische Kriegspolitik der 1990er Jahr noch erheblich verstärkt wurden. Ein besonderer Ausdruck dieser Verhältnisse ist die bis zum heutigen Tag prekäre gesellschaftliche Stellung sexueller Minderheiten. Zwar hat sich der rechtliche Schutz in den letzten Jahren deutlich gebessert, insbesondere durch ein 2009 verabschiedetes Anti-Diskriminierungsgesetz, und auch der Umgang der Medien mit den Angehörigen der LGBT-Community hat sich gebessert. Dennoch sehen sich die sexuellen Minderheiten auch weiterhin Diskriminierungen ausgesetzt, während der verbesserte gesetzliche Schutz in der Praxis bis heute kaum umgesetzt wird. Organisierter Widerstand kommt v.a. von
rechtsextremistischen serbischen Gruppierungen wie „Dveri“, „Naši“ und „1389“ – aber auch von der Serbisch-orthodoxen Kirche.
Prominentester Ausdruck dieses Selbstbehauptungskampfes um Minderheitenrechte ist das alljährliche Ringen um die Gay Parade. Nach 2001 gelang es erst im Jahr 2010 wieder, in Belgrad eine Gay-Parade abzuhalten. Rund tausend Teilnehmer wurden von 5.000 Sicherheitskräften vor mehreren tausend Angehörigen rechtsextremistischer Gruppierungen und Fußballhooligans geschützt. In den darauffolgenden drei Jahren, zuletzt im September 2013 untersagte das Innenministerium die Belgrader Gay Parade aus „Sicherheitsgründen“ – trotz massivem Druck von Seiten der EU.
Im Herbst 2014 fand, erneut unter starkem Druck aus der EU, zum ersten Mal wieder eine Gay Parade in Belgrad statt. Ein massives Polizeiaufgebot verhinderte ernsthafte Zwischenfälle während der Parade. An dem Marsch, an dem sich geschätzte 1.000 bis 1.500 Teilnehmende beteiligten sich auch Minister der serbischen Regierung, von Oppositionspolitiker und westlichen Diplomaten. Am Tag davor hatten einige Tausend Rechtsradikale gegen die Parade demonstriert.
Allerdings gab es zwei Wochen zuvor einen Angriff auf einen deutsche LGBT-Aktivisten, der an einer Konferenz in Belgrad teilgenommen hatte, und der bei der Attacke lebensbedrohlich verletzt wurde.
Demgegenüber verliefen die Gay Parade 2015, die Gay Parade 2016 sowie die Gay Parade 2017 ohne größere Zwischenfälle, und ebenso in den vergangenen zwei Jahren.
Einen Einschnitt für die Geschichte der LGBT Community in Serbien bedeutete die Nominierung der bisherigen Ministerin für öffentliche Verwaltung, Ana Brnabić zur neuen Ministerpräsidentin Serbiens durch den neugewählten Präsidenten Vučić im Juni 2017. Sie wurde so die erste lesbische Ministerpräsidentin Serbiens. Diese setzte dann im September mit ihrer Teilnahme an der Gay Parade 2017 ein erstes politisches Zeichen. Die Entscheidung wurde in der serbischen Öffentlichkeit unterschiedlich aufgenommen: Serbische LGBT-Aktivisten begrüßten die Ernennung grundsätzlich. Teile der parlamentarischen Opposition relativierten den historischen Schritt durch die ihrer Meinung nach dahinter stehenden politischen Absicht des Staatspräsidenten. Einige kleinere, extrem konservative Koalitionspartner der Regierungspartei SNS kündigten die Verweigerung der Unterstützung für die designierte Ministerpräsidentin mit Verweis auf das traditionelle Geschlechter und Familienbild an.
Wie schon im Vorjahr nahm Serbiens erste lesbische Ministerpräsidentin 2018 zum zweiten Mal an der Gay Parade statt. Unter den LGBT-Aktivist_innen war der zweite Auftritt der Ministerpräsidentin allerdings umstritten. Diese hatte im Vorjahr Ankündigungen zur Verbesserung der Situation von Schwulen und Lesben gemacht. Zahlreiche Aktivist_innen, die die Teilnahme der Ministerpräsidentin verhindern wollten, beklagten, dass keine der Versprechungen umgesetzt worden sei. Die Kritik wurde bei der Gay Parade 2019 erneuert. 2019 wurde die Ministerpräsidentin Mutter, nachdem ihre Partnerin ein Kind geboren hatte – ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der LGBT Community in Serbien.
2020 musste die Gay Parade coronabedingt ausfallen bzw. die wurde auf das kommende Jahr verschoben. Mitte September fand die 10. Pride-Woche statte, die in diesem Jahr unter dem entsprechenden Motto stand – „solidarisch in den eigenen vier Wänden“. In diesem Rahmen kritisierten die Aktivist_innen erneut, dass die Regierung die meisten ihrer Reformversprechungen weiterhin nicht umgesetzt hat. Zwar wurde es 2019 Trans-Menschen gesetzlich erleichtert, das Geschlecht auch ohne medizinische Angleichung in persönlichen Dokumenten umtragen zu lassen. Doch in allen anderen Bereichen, etwa bei der Einführung von gleichberechtigten Partnerschaften und deren rechtlichen Gleichstellungen mit der Ehe hat es keinerlei Fortschritte gegeben.
Migration: europäische Flüchtlingskrise und die Balkanroute
Seit 2014 wurde das Thema Flucht und Migration zunehmend bedeutender in der serbischen Gesellschaft, zunächst durch zunehmende Migration vom Westbalkan in die EU, schließlich wurde Serbien zu einem der Schlüsselländer der europäischen Flüchtlingskrise 2015, als infolge des Zusammenbruchs der EU-Außengrenze und des europäischen Asylsystems Hunderttausende den Weg über die sogenannte Balkanroute in die Europäisch Union nahmen.
Serbien nahm in beiden Migrationswellen die Rolle eines Transitlandes, und nicht eines Ziellandes von Migration ein, und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist das Land aufgrund seiner sozio ökonomischen und sozialen Verhältnisse weitgehend unattraktiv für Asylsuchende und andere Migranten. Zweitens hat Serbien ein schlecht funktionierendes Asylsystem, das Asylsuchende zusätzlich motiviert, weiter gen EU zu ziehen.
Die erste Migrationswelle war die von Kosovo-Albaner über Serbien und Ungarn weiter nach Westen (Deutschland, Österreich, Schweiz) Ende 2014, Anfang 2015. Zehntausende Kosovaren nutzten aus Verzweiflung über die politische und ökonomische Lage in ihrem Heimatland die Möglichkeit legaler Einreise nach Serbien, um im Norden in der Provinz Vojvodina über die grüne Grenze nach Ungarn
die EU zu erreichen. Diese Migrationswelle kam im Spätfrühjahr 2015 weitestgehend zum Erliegen, nachdem die betroffen EU-Länder in Kooperation mit dem Kosovo zahlreiche Maßnahmen eingeleitet hatten, v.a. die Erklärung des Kosovos zum sicheren Herkunftsland.
Doch dann begann im Sommer 2015 die europäische Flüchtlingskrise, in der die Balkanstaaten eine zentrale Rolle zukam. Die Abdrängung der illegalen Flüchtlingsbewegungen nach Europa zum kurzen Seeweg in der Ägäis von der türkischen Küste zu den griechischen Inseln brachte innerhalb kürzester Zeit die Außengrenze der EU und das seit langem dysfunktionale Dublin-Asylsystem zum Einsturz. Im Laufe des Jahres überquerten 850.000 Menschen, v.a. aus Syrien, Irak und Afghanistan, aber auch aus Afrika und Asien die Ägäis. Von dort durchquerten teils bis zu 5-6.000 täglich den Balkan in die EU – zunächst über Mazedonien und Serbien nach Ungarn, und nach der ungarischen Grenzschließung am 15. September 2015 von Serbien über Kroatien und Slowenien nach Österreich.
Der Umgang Serbiens mit dieser unerwarteten Krise glich weitgehend dem aller anderen betroffenen Staaten. Die Behörden zeigten sich zunächst vollkommen unvorbereitet und mit hoffnungslos unzureichenden Kapazitäten. Die überforderte Polizei reagierte auf die massenhafte illegale Einreise mit Gewalt gegen Flüchtlinge und mit Korruption. Für die Versorgung der Flüchtlinge organisierte sich wie überall die Zivilgesellschaft, unterstützt durch internationale Flüchtlingshilfswerke und Migrationsorganisationen wie UNHCR, IOM, Ärzte ohne Grenzen u.a. Im Laufe des Herbstes gelang es der serbischen Regierung, den Flüchtlingsstrom in geordnete Bahnen zu lenken durch die Errichtung von Registrierungs- und Transitzentren an der mazedonischen und der ungarischen bzw. später der kroatischen Grenze sowie durch die Bereitstellung von Transportmitteln zur Durchreise durch Serbien.
Dazu trug nicht zuletzt die Verbesserung der Zusammenarbeit mit den anderen betroffenen Staaten auf der Balkanroute bei. Im September hatte die Schließung der ungarisch-serbischen Grenze noch zu einem kurzen Handelskrieg inklusiver Grenzschließung zwischen Serbien und Kroatien geführt. Dieser wich dann aber einer zunehmend besseren Koordinierung des Transits der Flüchtlinge und Migranten entlang der Balkanroute.
Diese verbesserte Kooperation wurde über den Winter zunehmend zur schrittweisen Schließung der Balkanroute genutzt, eine Reaktion der Länder der Region auf die restriktiver werdende Flüchtlings und Asylpolitik der hauptbetroffenen EU-Staaten. So beschlossen die Länder auf der Balkanroute am
18. November, nur noch Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan durchzulassen. Nach der Einführung von Grenzkontrollen durch Schweden und Dänemark und die Verkündung von Flüchtlingsobergrenzen durch Österreich im Januar 2016 folgten weitere Einschränkungen.
Eine 2019 weltweit durchgeführte Meinungsumfrage ergab, dass unter der serbischen Bevölkerung die Ablehnung von Migranten sehr hoch ist, und dass diese Ablehnung gegenüber der letzten Umfrage unmittelbar nach dem Ende der europäischen Flüchtlingskrise gestiegen ist. Dabei lag Serbien 2019 nach Nordmazedonien und Ungarn an dritter Stelle weltweit, und noch vor Bosnien- Herzegowina, obwohl das Nachbarland mittlerweile deutlich mehr Migranten beherbergt als Serbien.
Mit der Migrationswelle aus Nahost verstärkte sich auch der Migrationsdruck aus den Westbalkanländern in Richtung EU wieder. So waren Serbien neben Albanien und dem Kosovo 2015 unter den top ten der Herkunftsländer von Asylsuchenden. In Deutschland belegte Serbien mit
26.000 Asylanträgen den 6. Platz. Deutschland und andere betroffene EU-Staaten reagierten mit beschleunigten Rückführungen und Informationskampagnen in den Herkunftsländern sowie der Erweiterung ihrer Listen an sicheren Herkunftsländern. In Deutschland war Serbien bereits im November 2014 zum sicheren Herkunftsland erklärt worden. Zugleich öffnete die Bundesregierung Wege für qualifizierte Arbeitsmigration vom Westbalkan.
Arbeitsemigration nach Europa
Während Serbien seit einigen Jahren Transitland für Migranten auf dem Weg nach Europa ist, leidet das Land selber zugleich an einer zunehmenden Emigration vor allem von Fachkräften in die EU und die USA. So sind nach OECD-Angaben zwischen 2000 und 2019 654.000 serbischer Bürger ausgewandert. Besonders stark ist die Auswanderung in einige EU-Mitgliedsstaaten und die Schweiz, die traditionell Ziel von serbischer Arbeitsmigration waren, allen voran nach Deutschland. Unter den Nicht-EU Ländern lag Serbien in der Fachkräftezuwanderung nach Deutschland 2017 an vierter Stelle. In der ersten Hälfte 2018 hatten 19.000 serbische Bürger ein Arbeitsvisum in Deutschland, 2.000 mehr als im Vorjahr. Besonders stark ist die Anwerbung im medizinischen und Pflegesektor.
In diesem arbeiteten aus dem gesamten Westbalkan 2019 50.000 Menschen, ein Anstieg um 6.500 Personen gegenüber dem Vorjahr. Mit dem am Inkrafttreten des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes zum 1. März 2020 in Deutschland, welches die Einwanderung aus Drittstaaten weiter erheblich erweitert wird eine weitere Verstärkung der Auswanderung aus Serbien nach Deutschland erwartet. In Serbien wie der Region gibt es Kritik daran, dass durch die verstärkte Fachkräfteanwerbung aus Deutschland und anderen europäischen Staaten sich in Serbien das demographische Problem und der Fachkräftemangel verstärken werden.
Die Texte stammen vom Länderportal der GIZ, welches vom Netz genommen ist. Die Autorin heisst Dr. Azra Dzajic-Weber, studierte und promovierte in Germanistik und Slawistik an der Georg-August-Universität Göttingen. Die GIZ und der Autorin ist informiert worden, dass die Infos auf meiner touristischen Länderseite zu Serbien veröffentliche.